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Aspekte zur Sexualität bei Herzgefäßerkrankungen

Kardiologie & Gefäßmedizin

Keypoints

  • Jeder Arzt sollte bei seinen Patienten zumindest einmal pro Jahr aktiv Themen rund um die Sexualität ansprechen.

  • Ein gestörtes Sexualleben stellt ein häufiges Problem bei Herzgefäßpatienten dar.

  • Die Belastung im Rahmen einer sexuellen Handlung ist gering bis moderat, und fast kein Herzgefäßpatient muss auf Sex verzichten.

  • Störungen der erektilen Funktion gehen einer manifesten koronaren Herzkrankheit (KHK) oft Jahre voraus.

  • Die Möglichkeiten der Behandlung einer erektilen Dysfunktion (ED) bei Männern mit kardiovaskulären Erkrankungen und metabolischem Syndrom sind heutzutage vielfältig, bei Sexualstörungen von Frauen gibt es noch deutlichen Nachholbedarf.


Einleitung

Die sexuelle Gesundheit ist auch bei Patienten mit Herzgefäßerkrankungen von großer Bedeutung. Dennoch wird sie häufig sowohl von den Betroffenen als auch von den behandelnden Ärzten tabuisiert.
Ein gestörtes Sexualleben stellt ein häufiges Problem bei Herzgefäßpatienten dar. Viele Fragen bleiben aufgrund des Mangels an wissenschaftlichen Daten und Empfehlungen unbeantwortet. Die Sexualität ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität, auch bei kardiovaskulären Patienten. Deshalb sollte jeder praktisch tätige Arzt bei seinen Patienten zumindest einmal pro Jahr aktiv Themen rund um die Sexualität ansprechen. Durch die Ausbildung und kontinuierliche Schulung in Sexualmedizin wird den Ärzten die Scheu in der Beratung ihrer Patienten genommen.
Bei bestehender Herzgefäßerkrankung können bei Patienten und deren Partnern einige Probleme auftreten (Tab. 1). Für das Anamnesegespräch mit dem Patienten ist es deshalb ratsam, zunächst Antworten auf mehrere Fragen zum Sexualleben zu erheben.
Eine sexuelle Dysfunktion (primär oder sekundär, psychischer oder physischer Ursache) beeinträchtigt die Lebensqualität des Betroffenen und nicht selten sind partnerschaftliche Probleme die Folge. Man versteht darunter jene Störungen der sexuellen Funktionen, aufgrund deren die individuellen Ansprüche an eine erfüllte Sexualität nicht erfüllt werden können, die Person also unter Leidensdruck steht. Dazu zählen das Versagen genitaler Reaktionen wie Erektionsstörungen, psychogene Impotenz, Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau, Orgasmusstörungen bei Männern und Frauen, Ejaculatio praecox, nicht organischer Vaginismus und nicht organische Dyspareunie. Wie die Erfahrung aus der Sexualberatung von Herzgefäßpatienten zeigt, machen sich vor allem Frauen Sorgen wegen der Gefahren von sexueller Aktivität ihres männlichen Partners.
Zu Sexualität bei Herzgefäßpatienten gibt es auf europäischer Ebene (ESCRichtlinien) keinerlei Erwähnung, auch nicht in den Daten zur kardiovaskulären Prävention. Die American Heart Association publizierte 2012 in „Circulation“ die wissenschaftliche Stellungnahme „Sexual activity and cardiovascular disease“, in Österreich findet sich ein Schnellrepetitorium im Journal für Kardiologie aus dem Jahre 2001 (!).


Geschlechtsspezifische Unterschiede

Testosteron ist das zentrale Hormon für die Sexualität des Mannes, trotzdem ist es nach wie vor ein Stiefkind in der Endokrinologie. Ab dem 40. Lebensjahr sinkt der Testosteronspiegel jährlich um 0,8 bis 1%, stärker bei Adipositas, Diabetes mellitus (10%), koronarer Herzkrankheit (8%) und bei malignen Erkrankungen (15%). Darüber hinaus besteht eine ausgeprägte zirkadiane Rhythmik mit den höchsten Spiegeln am Morgen und am frühen Nachmittag. Ein Testosteronmangel führt zu folgenden Erscheinungen: verminderte Knochendichte, reduzierte Muskelmasse und -kraft (Sarkopenie), gesteigerte viszerale Adipositas und Depressivität, herabgesetzte Sexualität und Hämatopoese. Ein niedriger Testosteronspiegel ist Teil des metabolischen Syndroms beim Mann und auch bei atherosklerotischen Herzerkrankungen oft nachweisbar.
Die erektile Dysfunktion (ED), das heißt die wiederholte Unfähigkeit, eine suffiziente Erektion zu erzielen oder aufrechtzuerhalten, steht bei Störungen der Sexualfunktion des Mannes neben Orgasmusschwierigkeiten an erster Stelle. Aufgrund des Durchmessers der Penisarterien manifestiert sich eine Atherosklerose früher an kleineren als an größeren Arterien wie zum Beispiel den Koronarien („artery size hypothesis“). Die ED-Beschwerden gehen somit Angina-pectoris- Beschwerden circa 3 bis 5 Jahre voran („Penis = Antenne des Herzens“). Die weibliche sexuelle Dysfunktion (FSD) umfasst hingegen verschiedene Bereiche der weiblichen Sexualität, vom verminderten oder fehlenden sexuellen Verlangen, verringerter vaginaler Schwellung und Lubrikation bis zu Orgasmusstörung und Dyspareunie.


Risiko für Patienten

Im Rahmen eines Sexualaktes kommt es beim Vorspiel zu einem Blutdruck- und Pulsanstieg, die Spitzenwerte sind 5 Minuten vor dem Orgasmus erreicht, dann normalisieren sich diese Parameter rasch wieder. Dies entspricht einer körperlichen Aktivität von 3 bis 5 metabolischen Äquivalenten (MET). Für den Mann gelten folgende Richtwerte: Man-on-top-Coitus 110/min, 2,5 MET, Woman-on-top-Coitus 127/min, 3,3 MET. 1 MET entspricht einer Belastung von 15 Watt am Ergometer oder das durchgehende Gehen über 2 Stockwerke. Der Energieverbrauch bewegt sich bei etwa 200kcal bei Männern und 70kcal bei Frauen während einer sexuellen Aktivität mit Vorspiel bis zum Orgasmus mit einer Dauer von 25min (Daten bei jungen Paaren).
Eine Angina-pectoris-Attacke während sexueller Aktivität, eine sogenannte „Angina amour“, tritt in 5% aller Fälle auf. Das Herzinfarktrisiko ist um den Faktor 2,7 erhöht. Die Häufigkeit des plötzlichen Herztodes während sexueller Aktivität, des sogenannten Liebestods, hängt von zahlreichen Begleitfaktoren ab, insgesamt beträgt er 2 bis 3 Todesfälle pro 100 000 Personenjahre und 0,6% aller plötzlichen Herztodesfälle. 90% der betroffenen Personen sind Männer, 75% der Fälle treten mit jungen, den Männern nicht bekannten Partnern auf und zu 50% sind ein erhöhter Alkoholspiegel sowie ein postprandialer Zustand zu erheben.


Einfluss von kardiovaskulären Medikamenten auf die Sexualfunktion

Eine negative Beeinflussung der Sexualfunktion durch Herzgefäßpharmaka wurde für Männer wiederholt beschrieben, für Frauen gibt es dazu nur wenige Fallberichte. Zunächst sollte auf die Gabe aller Stickoxid(NO)-Donatoren wie Nitrate, Molsidomin und auch Nicorandil verzichtet werden. Weiters zählen dazu geschnüffeltes Nitrit („Poppers“) und möglicherweise auch der Betablocker Nebivolol. Bei der Verwendung von Phosphodiesterase(PDE)-5-Hemmern ist Nitroglyzerin sublingual kontraindiziert (späteste Einnahme bei Sildenafil 24, bei Tadalafil 48 Stunden vor dem Geschlechtsverkehr). Auch alle Antiarrhythmika sollten zumindest 24 Stunden zuvor abgesetzt werden. Thiaziddiuretika, vielfach auch in Fixkombinationen mit ACEHemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern, beeinflussen die erektile Funktion nachteilig, Furosemid ist, wenn indiziert, zu bevorzugen. Epleneron sollte der Vorzug gegenüber Spironolacton gegeben werden. Bei den Betablockern gibt es zahlreiche Studien zur Verschlechterung der Potenz unter jenen der ersten Generation, Bisoprolol und Carvedilol scheinen keine negativen Effekte auszuüben. Digoxin sollte abgesetzt werden, auch bei den potenten Statinen in höherer Dosierung ist Vorsicht geboten. Kalziumantagonisten und Alphablocker beeinflussen die erektile Funktion nicht, führen jedoch selten zu Ejakulationsstörungen (Kalziumantagonisten) und retrograden Ejakulationen (Alphablocker). Ejakulationsstörungen sind ein noch viel größeres Tabuthema als Erektionsschwäche.


Verhaltensempfehlungen für Herzgefäßpatienten

Nach einem unkomplizierten Infarkt kann nach einer Woche die sexuelle Aktivität wieder aufgenommen werden, nach Gefäßinterventionen mit oder ohne Stent nach 2 Wochen. Dies ist vor allem abhängig vom Gefäßzugang und vom Status der Punktionsstelle. Durch die Sternotomie verschiebt sich nach Bypass- oder Klappenoperationen dieser Zeitpunkt auf 6 bis 8 Wochen postoperativ.
Wer sollte nun auf sexuelle Aktivität generell verzichten? Personen mit schwerster koronarer Herzkrankheit mit Befall des linken Hauptstamms und klinischer Instabilität, Patienten mit Herzinsuffizienz NYHA III und IV, Rhythmuspatienten mit malignen Arrhythmien und/oder rezidivierenden Schockabgaben bei ICD, weiters jene mit einer symptomatischen hochgradigen Aortenstenose oder einer hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie. Außerdem sollten auch Hypertoniker mit unkontrollierten schweren hypertensiven Entgleisungen auf Sex verzichten.


Abbildungen


Abkürzungsverzeichnis

ED

erektile Dysfunktion, endotheliale Dysfunktion

ESC

European Society of Cardiology

FSD

„female sexual dysfunction“

KHK

koronare Herzkrankheit

MET

„metabolic equivalent of task“ = metabolisches Äquivalent

MUSE

Harnröhrenstäbchen

NO

„nitric oxide“, Stickoxid

NYHA

New York Heart Association – klinische Einschätzung einer Herzinsuffizienz

PDE-5

Phosphodiesterase V

SKAT

Schwellkörper-Autoinjektionstherapie


Weiterführende Literatur:

bei den Verfassern

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