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Antikoagulation bei venösen Thromboembolien

Welches Antikoagulans für welchen Patienten?

Kardiologie & Gefäßmedizin

Die Entwicklung der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) hat die Therapie und Prophylaxe von venösen Thromboembolien effektiver und sicherer gemacht. Die individuelle Auswahl einer Substanz richtet sich nach deren jeweiligen pharmakologischen Eigenschaften.


Venöse Thromboembolie weit verbreitet

Die venöse Thromboembolie (VTE) stellt einen wesentlichen Faktor für Morbidität und Mortalität dar. So sterben in Europa mehr als eine halbe Million Menschen jährlich an den Folgen einer VTE.1 Medikamentöse Antikoagulation ist der Eckpfeiler der Primär- und Sekundärprophylaxe thromboembolischer Ereignisse, wobei Effektivität und Sicherheit einer Therapie in einem ausgewogenen Verhältnis sein müssen. Für die VTE-Prophylaxe bedeutet das die ausreichende Antikoagulation bei gleichzeitiger Vermeidung schwerer Blutungskomplikationen.
Vier neue orale Antikoagulanzien (NOAK) – Dabigatran, Apixaban, Rivaroxaban, Edoxaban – sind zur Verhinderung thromboembolischer Ereignisse zugelassen (Tab. 1). Während Dabigatran ein direkter Thrombin-Inhibitor ist, handelt es sich bei den anderen drei Substanzen um Faktor-Xa-Inhibitoren. Sie weisen ähnliche Halbwertszeiten auf. Unterschiede bestehen aber bezüglich der Ausscheidung der Substanzen; vor allem hinsichtlich des renalen Anteils der Exkretion. Während Dabigatran mehrheitlich über die Niere verstoffwechselt wird, erfolgt die Metabolisierung von Apixaban, Rivaroxaban und Edoxaban vorwiegend hepatisch.


Weniger Blutungskomplikationen

Jede dieser Substanzen wurde in der jeweiligen Zulassungsstudie gegen den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Warfarin getestet, wobei die Nichtunterlegenheit der geprüften Substanz gegenüber dem VKA nachgewiesen werden musste. Insgesamt wurden mehr als 27 000 Patienten mit VTE in sechs Studien eingeschlossen.2 In allen diesen 6 Zulassungsstudien erwiesen sich die Prüfsubstanzen als zumindest ebenso effektiv in der Verhinderung eines VTE-Rezidivs bzw. VTE-assoziierter Todesfälle (kombinierter Endpunkt) wie der VKA. In Bezug auf die Sicherheit waren die NOAK dem VKA überlegen. So zeigen die gepoolten Daten, dass das Risiko für schwere Blutungen unter NOAK um 39% geringer als unter dem VKA ist. Dieser große Sicherheitsbenefit der NOAK insgesamt war vor allem auf die Daten zu Apixaban in der AMPLIFY-Studie zurückzuführen, bei der das Risiko für schwere Blutungen (relative Risikoreduktion) um 69%3, sowie auf die Daten zu Rivaroxaban in der EINSTEIN-PE-Studie, bei der das Risiko für schwere Blutungen bei Patienten mit Pulmonalembolie um 50%4 gegenüber dem VKA reduziert war. Für zwei Substanzen, Apixaban und, bei Patienten mit Lungenembolie, Rivaroxaban, ergaben die Zulassungsstudien eine im Vergleich zu LMWH/VKA signifikante Reduktion von schweren Blutungsereignissen.3, 4 Die Analyse der gepoolten Daten zeigt weiters, dass das Risiko für intrakranielle Blutungen und fatale Blutungen unter VTE signifikant reduziert war, während das Risiko für schwere gastrointestinale Blutungen unter NOAK dem unter VKA vergleichbar ist.2
Apixaban und Rivaroxaban erwiesen sich auch in einer anderen Metaanalyse, in der Studien mit unfraktioniertem Heparin in Kombination mit einem VKA, niedermolekularem Heparin alleine oder kombiniert mit Dabigatran oder Edoxaban und mit Fondaparinux Berücksichtigung fanden, als die einzigen Substanzen, die bei vergleichbarer Effektivität wie niedermolekulares Heparin plus VKA größere Sicherheit im Sinne eines reduzierten Blutungsrisikos aufwiesen.5
Diese günstigen Nutzen-Risiko-Profile der NOAK haben auch in den aktuellen Guidelines der internationalen Fachgesellschaften ihren Niederschlag gefunden. So ist laut American College of Clinical Pharmacy (ACCP) für Patienten mit tiefen Beinvenenthrombosen (TVT) oder Pulmonalembolie (PE) und keinem Karzinom der Langzeitantikoagulation mit Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban oder Edoxaban einer Antikoagulation mit einem VKA der Vorzug zu geben.6 Für Tumorpatienten mit TVT oder PE empfiehlt das ACCP zur Thrombosebehandlung niedermolekulares Heparin und anschließend kann die Antikoagulation mit einem VKA oder einem NOAK erfolgen.


Dosierung der NOAK bei akuter VTE

Die verschiedenen NOAK unterscheiden sich auch hinsichtlich Dosierung und Therapieeinleitung (Tab. 2). Während für die Behandlung der VTE mit Dabigatran und Edoxaban eine Initialbehandlung mit einem niedermolekularen Heparin von mindestens 5 Tagen erforderlich ist, kann die Therapie mit Rivaroxaban und Apixaban unmittelbar erfolgen. Bei Rivaroxaban wird für drei Wochen mit 15mg zweimal täglich begonnen, bevor auf die Standarddosis von 20mg (bestimmte Patientengruppen: 15mg) einmal täglich umgestellt wird; nach Abschluss einer mind. 6-monatigen Therapie beträgt die empfohlene Dosis 10 mg einmal täglich (bei hohem Rezidivrisiko ggf. 20mg bzw. 15mg einmal täglich, siehe Fachinformation). Apixaban erfordert eine einwöchige Initialphase mit 10mg zweimal täglich und die Erhaltungstherapie beträgt 5mg zweimal täglich.
Die Dauer der Antikoagulation richtet sich nach der Art der VTE.6 Handelt es sich um ein sekundäres Ereignis wie etwa VTE wegen Immobilität aufgrund von Bettlägerigkeit oder Gipsverband, sollte die Antikoagulation nicht länger als 3 Monate erfolgen. Auch bei einer idiopathischen, distalen, nur den Unterschenkel betreffenden Thrombose sollte die Antikoagulation auf 3 Monate begrenzt sein. Bei idiopathischem, proximalem Ereignis mit oder ohne PE und niedrigem bis moderatem Blutungsrisiko wird eine Dauer der Antikoagulation von mindestens 3 Monaten empfohlen. Besteht ein hohes Blutungsrisiko, sollte die Antikoagulation wieder nach drei Monaten beendet werden. Bei aktiver Tumorerkrankung ist niedermolekulares Heparin für 3 bis 6 Monate bzw. langfristig, solange die Chemotherapie läuft bzw. der Tumor aktiv ist, indiziert. Liegt ein Rezidiv einer VTE vor, so wird eine dauerhafte Antikoagulation empfohlen.


Rezidivprophylaxe

Die Daten der AUREC Studie zeigten, dass sechs Jahre nach Absetzen einer antikoagulativen Therapie wegen einer VTE das Rezidivrisiko bei Männern bei 30% und bei Frauen bei 8% liegt.7 Der Frage, ob für diese Patienten eine dauerhafte Antikoagulation mit Acetylsalicylsäure (ASS) ausreichend ist, wurde in zwei Studien nachgegangen. So konnte in der WARFASA- Studie zwar eine Reduktion der Gesamtereignisse unter ASS gegenüber Placebo gezeigt werden, die Raten an Pulmonalembolien und Todesfällen konnten durch ASS jedoch nicht reduziert werden.8 Die ASPIRE-Studie kam zu einem ähnlichen Ergebnis,9 sodass der Schluss gezogen werden kann, dass ASS keine Option zur Langzeitprophylaxe von VTE ist. Rezent hat die EINSTEIN-CHOICE-Studie gezeigt, dass das NOAK Rivaroxaban signifikant effektiver in der verlängerten Rezidivprophylaxe (nach Abschluss einer 6–12 monatigen Behandlung) von VTE ist als Aspirin, wobei das Blutungsrisiko vergleichbar ist.10 Auch für Apixaban liegen Daten zur verlängerten Rezidivprophylaxe vor. So hat die AMPLIFY-EXTENSIONStudie, an der Patienten nach 6–12 Monaten Vorbehandlung teilnehmen konnten, unter Apixaban 2,5mg oder 5mg im Vergleich zu Placebo eine signifikante Reduktion im Endpunkt „VTE-Rezidiv oder VTEbedingter Tod“ bewirkt (beide Dosierungen Apixaban 1,7% vs. Placebo 8,8%; p<0,001).11 Die Blutungsraten im Studienarm mit Apixaban 2,5mg waren jenen in der Placebogruppe vergleichbar. Daraus leitet sich die Empfehlung in der Fachinformation ab, für die Langzeitantikoagulation Apixaban in einer Dosierung von 2,5mg zweimal täglich einzusetzen.


Welches Antikoagulans für welchen Patienten?

Die individuelle Wahl eines Antikoagulans ergibt sich aus den Eigenschaften der verschiedenen Substanzen. Soll die Behandlung sofort mit einem NOAK ohne Einleitung mit einem niedermolekularen Heparin beginnen, so stehen Apixaban und Rivaroxaban zur Auswahl. Aufgrund guter Daten in Studien zu Patienten mit Vorhofflimmern, die gezeigt haben, dass Apixaban auch bei abnehmender Nierenfunktion effektiv und verträglich ist,12 kann diese Substanz auch bei eingeschränkter Nierenfunktion (GFR 30–50ml/min) angewandt werden. Das gilt auch für Dabigatran, Rivaroxaban und Edoxaban, bei Dabigatran ist die Kontraindikation bei CrCl<30ml/ min zu beachten (die anderen NOAKs sind kontraindiziert bei CrCl<15ml/min).
Ist eine einmal tägliche Gabe erwünscht, so bieten sich Rivaroxaban und Edoxaban an. Für die Langzeittherapie existieren gute Daten zu Apixaban und Rivaroxaban. Dabigatran ist die Therapieoption, wenn ein Antidot verfügbar sein soll, wobei zu bemerken ist, dass Patienten mit VTE ein deutlich geringeres Blutungsrisiko aufweisen als Patienten mit Vorhofflimmern. Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz bzw. Dialysepatienten benötigen zur Antikoagulation nach wie vor VKA oder niedermolekulares Heparin. Ebenso ist eine mechanische Herzklappe eine Indikation für den VKA. Für Malignompatienten, während der Schwangerschaft und postpartal sind niedermolekulare Heparine die Antikoagulanzien der ersten Wahl.


Literatur

  1. Cohen AT et al.: Venous thromboembolism (VTE) in Europe. The number of VTE events and associated morbidity and mortality. Thromb Haemost 2007; 98(4): 756-64

  2. Van Es N et al.: Direct oral anticoagulants compared with vitamin K antagonists for acute venous thromboembolism: evidence from phase 3 trials. Blood 2014; 124(12): 1968-75

  3. Agnelli G et al.: Oral apixaban for the treatment of acute venous thromboembolism. N Engl J Med 2013; 369(9): 799-808

  4. Büller HR et al.: Oral rivaroxaban for the treatment of symptomatic pulmonary embolism. N Engl J Med 2012; 366(14): 1287-97

  5. Castellucci LA et al.: Clinical and safety outcomes associated with treatment of acute venous thromboembolism: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2014; 312(11): 1122-35

  6. Kearon C et al.: Antithrombotic therapy for VTE disease: CHEST Guideline and Expert Panel Report. Chest 2016; 149(2): 315-52

  7. Kyrle PA et al.: The risk of recurrent venous thromboembolism in men and women. N Engl J Med 2004; 350(25): 2558-63

  8. Becattini C et al.: Aspirin for preventing the recurrence of venous thromboembolism. N Engl J Med 2012; 366(21): 1959-67

  9. Brighton TA et al.: Low-dose aspirin for preventing recurrent venous thromboembolism. N Engl J Med 2012; 367(21): 1979-87

  10. Weitz JI et al.: Rivaroxaban or aspirin for extended treatment of venous thromboembolism. N Engl J Med 2017; 376(13): 1211-22

  11. Agnelli G et al.: Apixaban for extended treatment of venous thromboembolism. N Engl J Med 2013; 368(8): 699-708

  12. Hohnloser SH et al.: Efficacy of apixaban when compared with warfarin in relation to renal function in patients with atrial fibrillation: insights from the ARISTOTLE trial. Eur Heart J 2012; 33(22): 2821-30

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